Hinter den Kulissen
35 Jahre Rechtshilfe
35 Jahre Hilfe im Dschungel des Rechts
Der Vorraum im 1. Stock im EineWeltHaus ist gesteckt voll. Über dreißig angespannte Gesichter von Menschen, die darauf warten, in die Anmeldeliste für die Beratung der Rechtshilfe aufgenommen zu werden. Jeden Dienstag ab 18.00 Uhr findet die hier statt. Schier unmöglich ist es für die meisten, sich im Dschungel des komplizierten deutschen Ausländer- und Asylrecht, sowie den vielfältigen Verfügungen und aktuellen Urteilen zurechtzufinden und die Möglichkeiten einzuschätzen, ihre Rechte wahrzunehmen. Die Fachanwälte und -anwältinnen, die ehrenamtlich und in der Rechtshilfe arbeiten, kennen sich da aus.
Mohammad ist einer der Ratsuchenden. Wie viele andere Verfolgte hat er sich übers Meer durch Italien und Österreich bis nach Deutschland durchgeschlagen. In München leben seine Freunde, da wollte er hin. Allerdings ist er von den italienischen Behörden registriert worden, bevor er in Deutschland Asyl beantragte. Nun hat der Syrer einen Ablehnungsbescheid erhalten, er ist verzweifelt. Einer der drei Rechtsanwälte bzw. Rechtsanwältinnen, die heute beraten, wird ihm allerdings später mitteilen, dass er wieder zurück nach Italien muss. Das schreibt die Dublin-Vereinbarung vor, Italien ist EU-Land und damit zur Aufnahme derjenigen Flüchtlingen verpflichtet, die dort zuerst eingereist sind. Er wird aber auch erfahren, dass er noch eine kleine Chance hat: Erklärt sich Italien innerhalb von sechs Monaten seit seinem Asylantrag nicht dazu bereit, ihn „zurückzunehmen“, dann kann er nochmals in Deutschland um Asyl bitten. Mohammad ist seit 4 Monaten hier.
Kaum zu glauben, schon seit 35 Jahren bietet die Rechtshilfe jede Woche im Jahr Menschen wie Mohammad Rat und Unterstützung, auch indem sie Fortbildungsveranstaltungen für Hilfsinitiativen durchführt. Begonnen hat dieses in Deutschland einzigartige Projekt als Rechtsberatung für ausländische Studierende im Ausländerzentrum der Evangelischen Studentengemeinde, danach – endlich mit eigenen Räumen – 10 Jahre im Dritte Welt Café in der Daiserstraße in Sendling, ab 2001 dann im EineWeltHaus. Bis 2013 hatte sie hier pro Jahr durchschnittlich 600 Ratsuchenden helfen können. Bis 2016 ist diese Zahl nun mit mehr als 1.200 jährlich auf das Doppelte gestiegen. Das bedeutet nicht nur, dass die Organisation der Rechtshilfe erweitert werden musste, sondern leider auch, dass manch einer auf die nächste Woche vertröstet werden muss. Verursacht ist das nicht nur durch die hohe Anzahl von Flüchtlingen seit 2014, sondern vor allem durch die restriktive Ausländer- und Flüchtlingspolitik in Deutschland, speziell in Bayern, die kaum noch wirksame Hilfe zulässt. Und es ist zu befürchten, dass alle Länder der EU demnächst gemeinsam auf diese Linie einschwenken.
Dann wird es noch wichtiger werden, Menschen zu helfen, die bereit sind, Teil dieses Landes zu werden. Aber wie hat Heribert Prantl schon in seiner Rede zur 25-Jahr-Feier der Rechtshilfe richtig angemahnt: “ Dass es die Rechtshilfe in München gibt, ist mehr als gut, aber noch besser wäre es, wenn eine humane Politik sie überflüssig machen würde.“
Kontakt: Levent Askar, Tel: 089 – 85 63 75 21, rechtshilfe@einewelthaus.de
Michael Sack, einer unserer Rechtsanwälte, berichtet von seiner Arbeit bei uns . . .
Was hat eine 55-jährige Frau aus Serbien mit einem Afghanen zu tun, der mit seiner deutschen Tochter in München lebt? Beide suchten Rat und Hilfe bei der Rechtsberatung der Rechtshilfe im EineWeltHaus am letzten Dienstag Abend.
Zwei von 16 Fällen eines Beratungsabends. Seit 27 Jahren beraten Anwältinnen und Anwälte, die sich auf Ausländer- und Asylrecht spezialisiert haben – und zwar ehrenamtlich. Oftmals kommen pro Abend zehn und mehr Ratsuchende zu jedem der beiden Anwältinnen und Anwälte. Nicht nur die Bandbreite der Länder ist groß, auch die Probleme werden immer vielschichtiger und komplexer.
Die 55-jährige Frau aus Serbien lebt seit mehr als 30 Jahren in Deutschland. Ihr Mann ist vor vielen Jahren gestorben, seit einem Schlaganfall kann sie nicht mehr arbeiten und bezieht eine minimale Rente. Durch eine Fristversäumung ist sie aus der gesetzlichen Krankenversicherung gefallen. Sie fürchtet um ihren weiteren Aufenthalt, wenn sie ergänzende Sozialhilfe beantragt. Sie kommt mit ihrer Schwiegertochter, die sie etwas unterstützt.
Der Afghane lebt seit 1983 als anerkannter Flüchtling in Deutschland zusammen mit seiner achtjährigen deutschen Tochter für die er das alleinige Sorgerecht hat. Er hat vor zwei Jahren in Pakistan wieder geheiratet. Seither wird seiner afghanischen Ehefrau durch die deutsche Botschaft das Visum zum Familiennachzug wegen angeblich nicht ausreichendender Deutschkenntnisse verweigert. Die Ehefrau, die nicht in Kabul lebt wurde schon zwei Mal zu einer schriftlichen Deutschprüfung in die Botschaft nach Kabul geladen, die sie nicht bestanden hat obwohl sie bei einem privaten Lehrer Deutschunterricht genommen hat.
Die Probleme für Nichtdeutsche in Deutschland sind in den 27 Jahren seit der Gründung der Rechtshilfe nicht weniger geworden. Die Ratsuchenden, die oft lange Wartezeiten in Kauf nehmen und längst nicht mehr nur aus München kommen, erwarten klare und verständliche Antworten auf ihre Fragen. Nicht immer ist dies möglich – dann werden zumindest Adressen weitergehender Beratungsstellen oder von kompetenten Anwältinnen und Anwälten ausgeteilt.
Die Frau aus Serbien kann insoweit beruhigt werden, als nach so langem Aufenthalt in Deutschland und bei unverschuldeter Arbeitslosigkeit eine Ausweisung nicht mehr droht. Ferner wird sie auf die Möglichkeit der erneuten Beantragung von Krankenversicherungsschutz nach der gesetzlichen Änderung hingewiesen.
Der beratende Anwalt musste ihr aber auch sagen, dass sie keinen Anspruch auf einen 100% sicheren Aufenthalt wie die Niederlassungserlaubnis hat. Der Druck der Ausländerbehörde bleibt auch nach 30-jährigem Aufenthalt in Deutschland weiter bestehen. Sicherlich kommt sie bei der nächsten anstehenden Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis erneut zur Rechtsberatung.
Dem Flüchtling aus Afghanistan, der fließend deutsch spricht und über ein festes Arbeitsverhältnis verfügt, wird erst mal die gesetzliche Lage erklärt: danach muss sich die nachziehende Ehefrau auf „einfache Art in deutscher Sprache verständigen“ können.
Von einer schriftlichen Prüfung steht weder im Gesetz noch in der einschlägigen EU Richtlinie etwas. Leider verlangen die Botschaften aber in der Regel ein Zeugnis des örtlichen Goetheinstituts oder sie halten selber Prüfungen ab. Klagen gegen Ablehnungsbescheide dauern in der Regel ein Jahr bis zur Gerichtsverhandlung. Ihm wird geraten mit dem Auswärtigen Amt Kontakt aufzunehmen und auf seine besondere Situation hinzuweisen und für die Ehefrau jemanden zum deutschen Sprechen zu finden bei den vielen Hilfsorganisationen, die sich in Afghanistan tummeln.
Nur am Rande bemerkt: auch wenn der Mann die deutsche Staatsangehörigkeit annehmen würde müsste die Ehefrau die Deutschkenntnisse vor der Einreise nachweisen. Wäre der Mann aber Franzose, der in Deutschland arbeitet, dann könnte seine Ehefrau ohne jede Deutschkenntnisse nach EU-Recht einreisen. Um Ihnen das zu erklären würde der heutige Abend nicht ausreichen.
Warum kommen die Menschen zur Rechtsberatung in das EineWeltHaus ?
- Viele haben nicht genug Geld einen Anwalt aufzusuchen.
- Bei vielen gibt es auch eine Hemmschwelle ein Anwaltsbüro zu betreten.
- Viele wollen sich zusätzlichen Rat holen.
- Viele haben auch Verständigungsprobleme nicht nur wegen der deutschen Sprache,
sondern auch, weil sie das „Juristendeutsch“ nicht verstehen.
Was erwarten die Menschen von der Rechtsberatung?
- Jemanden der zuhört und ihr Problem versteht.
- Jemanden, der auf ihre Fragen eine für sie befriedigende Antwort hat.
- Jemanden, der diese Antwort verständlich „rüberbringen“ kann.
Dabei spielen die ehrenamtlichen Helfer*innen bei der Anmeldung und die Protokollführerinnen und Protokollführer eine unersetzliche Rolle. Sie sind die ersten Ansprechpartner, sie hören zu und „dolmetschen“, wenn es sein muss und reden mit den Ratsuchenden beim Verabschieden. Sie fragen nach, ob er oder sie den Anwalt verstanden haben und geben noch zusätzliche Hinweise.
Zur inzwischen 27-jährigen Erfolgsgeschichte gehört sicher auch, dass nicht nach Namen und Adressen gefragt wird, manchmal kommen auch dritte Personen zur Beratung.
Wir freuen uns über den diesjährigen Preis der Lichterkette nach diesen 27 Jahren. Aber das Schönste wäre natürlich, wenn sich die Rechtshilfe auflösen könnte, weil Nichtdeutsche keine aufenthaltsrechtlichen Probleme mehr haben und gleich behandelt werden. Ich fürchte aber, auch in weiteren Jahren wird die Rechtshilfe gebraucht werden und mein Fazit nach 27 Jahren heißt nach wie vor: Wenn es sie nicht gäbe, die Rechtshilfe, dann müsste sie erfunden werden.
Michael Sack
Rechtsanwalt und (fast) von Anfang an dabei
08.02.2010
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Bellevue di Monaco
Die Rechtshilfe ist Genossenschaftsmitglied bei Bellevue di Monaco
Der Münchner Stadtrat hat am 28.1.2015 fraktionsübergreifend und nahezu einstimmig
den Abrissbeschluss für die Häuser Müllerstraße 2- 6 zurückgenommen und sich für die
Einrichtung eines Flüchtlingsprojektes an dieser Stelle ausgesprochen!
Am 27. Januar konnte der Zuschlag gefeiert werden, und es geht voran!
Sechs Architekturbüros hatten angefragt, ein Konzept zu entwickeln, wie die drei Häuser in der Müllerstraße 2-6 zügig, kostengünstig und mit viel Beteiligung von Freiwilligen umgebaut werden könnten. Am 15. Januar hatte dann jedes der angefragten Teams eine knappe Stunde Zeit, seine Ideen einer siebenköpfigen Jury, bestehend aus Bellevue-Vorstand, Mitgliedern des Aufsichtsrates und hinzu gebetenen Experten, vorzustellen.
Fast alle Büros plädierten in ihren Vorträgen für einen besonders sensiblen Umgang mit dem Ensemble in der Müllerstraße, verbunden mit der Empfehlung, Erhalt und Instandsetzung einer kostenintensiven Generalsanierung vorzuziehen.
Nach einer ausgiebigen Diskussion wurde aus dem Kreis der sechs Büros das Architekturbüro „Hirner und Riehl Architekten und Stadtplaner BDA“ ausgewählt.
Was soll Bellevue di Monaco konkret sein?
In einem Infocafé und Kulturräumen in der Müllerstraße 6 und 2 werden Beratung und Information für (neuankommende) Flüchtlinge wie auch konkrete Lebenshilfe angeboten. Flüchtlinge werden dort beraten und in die alltäglichen Belange des Hauses miteinbezogen. Der Cafébetrieb wird gemeinsam mit Flüchtlingen organisiert und umgesetzt. In den Wohnhäusern von Bellevue di Monaco (Haus Müllerstraße 6 und 4) werden junge Menschen mit und ohne Fluchthintergrund nach der Jugendhilfe in ein selbständiges Leben begleitet und mit Familien und Alleinerziehenden wird gemeinsam eine Perspektive erarbeitet. Der Kulturraum in der Müllerstraße 2 wird für kulturelle Veranstaltungen genutzt.
Die Gebäude
Das stadteigene Ensemble Müllerstraße 2-6 bietet sich hierfür idealtypisch an. Der in direkter Nachbarschaft befindliche leerstehende Hochbunker in der Blumenstraße 22 neben der Schrannenhalle könnte zukünftig eine zusätzliche Erweiterungsmöglichkeit darstellen.
Müllerstrasse 6: Acht Wohnungen für bis zu 16 junge Erwachsene in 2er WGs im Anschluss an die Jugendhilfe. Infocafé für gemeinsame Gestaltung, Begegnung, Information & Beratung.
Müllerstrasse 4: Sechs Wohnungen für Familien und Alleinerziehende mit Fluchthintergrund.
Müllerstrasse 2: Auf zwei Etagen Kulturraum für Veranstaltungen, Büros